Sonntag, 30. November 2014

Rückblende zu Paraguay

BrIm Hostal in Encarnación treffen wir ein junges Paar an, das Deutsch spricht. Er kommt aus Münster, und sie? Die blonde Frau ist eine Paraguayanerin. Wir sind erstaunt. Sie erklärt, dass sie ein Austauschjahr in Münster gemacht und dort ihren Freund kennengelernt hat. Spricht man nach einem Austauschjahr akzentfrei Hochdeutsch? Nein, Deutsch ist ihre Muttersprache. Sie kommt aus dem Chaco! 

Mennoniten im Chaco

Im historischen Abriss haben wir dargestellt, wie Paraguay in zwei Kriegen auch demografisch auf Grund gefahren wurde. Um das Bevölkerungsdefizit auszugleichen, hat das Land im 19. wie im 20. Jh. die Einwanderung aktiv gefördert. Auch viele Deutsche haben sich hier angesiedelt. Es gibt zahlreiche Dörfer, in denen bis heute deutsch gesprochen wird, und das nicht nur von der älteren Generation. Besonders eindrücklich ist die Siedlungsgeschichte der Mennoniten, einer Religionsgemeinschaft, die es seit der Zeit der Reformation gibt. Die ersten M. kamen 1926/27 in den Chaco, kurz vor den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Paraguay und Bolivien. 

Warum siedelten Europäer in einem Gebiet, wo für Wasser Sodbrunnen zu graben und mannshohes Dornengestrüpp zu roden war? 

Die M. schwören keine Eide (auch nicht auf einen Staat), leisten keinen Kriegsdienst und bleiben unter sich. Auch sprachlich. Sie stammen ursprünglich aus dem niederdeutschen Sprachraum, hauptsächlich aus den Niederlanden. Von dort vertrieben, zogen sie in menschenleere Gegenden, wo sie Land urbar machten und als Bauern und Handwerker lebten. Zuerst nach Ostpreussen, von da nach Russland, weiter nach Kanada und schliesslich nach Uruguay und Paraguay. Nach Jahrhunderten Wanderung sprechen sie nach wie vor ihr Plattdeutsch im Alltag und Hochdeutsch in der Kirche und in der Schule.
Paraguay war an den M. interessiert, wollte man doch den Chaco urbar machen. Die Siedler mussten das Land kaufen, bekamen aber weitgehende Privilegien, zum Beispiel eigenes Schul- und Erbrecht, autonome Rechtsprechung, absolute Religionsfreiheit und Befreiung vom Militärdienst. Sie bilden gewissermassen einen Staat im Staat. Es hat sich für beide Seiten bezahlt gemacht. Wo die M. leben, ist aus dem unwirtlichen Chaco Ackerbau- und Viehzuchtgebiet geworden. Hier wird nicht nur ein Grossteil der in Paraguay benötigten Milchprodukte erzeugt, auch der Anteil der exportierten Agrargüter ist überdurchschnittlich hoch. Wen wunderts, dass heute das Pro-Kopf-Einkommen der M. fünfmal über dem des übrigen Paraguay liegen soll.
Allerdings haben die M. den Wohlstand nicht allein erarbeitet. Die im Chaco schon immer heimischen Indios sind heute Lohnabhängige der M. Wie die Frauen bei den M. haben auch die Indios und die zugezogenen "Lateinparaguayaner" nichts zu bestimmen. Ob sie sich auch künftig in die Dienerrolle fügen werden?

Die junge Frau in Encarnación bezeichnet sich selber als schwarzes Schaf, hat sie es doch gegen den Widerstand ihrer Familie fertiggebracht, in Asuncion Psychologie zu studieren und für ein Jahr nach Deutschland zu fahren. Inzwischen ist sie mit ihrem Freund zurück in den Chaco zurückgekehrt. Während er Mitte Dezember nach Deutschland heimfliegt, ist es unklar, wo sie zukünftig leben und arbeiten wird.

Campesinos

Als wir in Asuncion waren, stiessen wir auf eine Demo von Campesinos. In BA im Centro Culturel Recoleta gehen wir durch eine Fotoausstellung. Dort gibt es eine Bilderfolge über den Kampf der Campesinos gegen die Grossgrundbesitzer, die Soja in Monokulturen anpflanzen und der ursprünglichen Landbevölkerung den Boden gestohlen haben. Hauptakteure sind die internationalen Agrokonzerne! Die Bilder sind in der Provinz Itapúa gemacht worden, deren Hauptstadt Encarnación ist. Wir erlauben uns, einige davon zu zeigen.






Fotos: SUB cooperativa de fotografos, Centro Culturel Recoleta, BA

Lesetipp: Maurice Lemoine. Unter der Herrschaft des Soja. Landbesitz und politische Macht in Paraguay. In: Le monde diplomatique Nr. 10306 vom 10.1.14.

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