Am Montag fährt uns Hugo Palmero mit seinem Auto nach San Jeronimo Norte, einem Dorf mit rund 7000 Einwohnern, etwa 45 km von Santa Fé entfernt. (Organisiert hat das für uns Lara Palmeiro, Margrits Spanischlehrerin aus Wohlen - vielen Dank, Lara!)
Gerold wurde in Zusammenhang mit dem Binntalbuch vom Ethnologen Klaus Anderegg auf den Ort aufmerksam gemacht. Es ging um die Geschichte der Walliser Auswanderer in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit der sich Klaus ausführlich beschäftigt hat.
Das rein agrarische Wallis konnte damals seine stark wachsende Bevölkerung nicht mehr hinreichend ernähren. Aus einzelnen Gemeinden wie Visperterminen oder Grengiols wanderte nahezu die Hälfte der Einwohner aus. Viele davon nach Argentinien. Fünf Walliser Familien gründeten 1858 mit insgesamt 35 Personen das Dorf. In den Jahrzehnten danach kamen viele weitere Walliser nach. Die Gründungsgeschichte ist überaus spannend.
Die Auswanderer müssen unglaublich mutig, ausdauernd und tüchtig gewesen sein, um in der zwar fruchtbaren, aber kaum erschlossenen Gegend erfolgreich zu siedeln!
Wir werden von Oskar Zurschmitten (Vizepräsident des Schweizer Vereins) und Roque Oggier, dem ehemaligen Präsidenten des Vereins, herzlich empfangen und auf Hochdeutsch begrüsst.
Kaum sind wir da, geht ein älterer Herr über den Platz: Nestor Schmidt, der uns in altem Walliser Tiitsch anspricht, als er vernimmt, dass wir aus der Schweiz kommen.
Ab jetzt folgt eine Begegnung der andern, organisiert von Roque Oggier. Jede ist auf je eigene Weise eindrücklich. Roque zeigt uns zuallererst den Friedhof, später die Kirche, das älteste Haus am Ort, führt uns ins Gemeindehaus und ins Haus des Schweizer Vereins, vor allem aber ermöglicht er uns Begegnungen mit Menschen, die uns über ihre Familiengeschichten ein lebendiges Bild von 150 Jahren San Jeronimo Norte vermitteln.
Ein stichwortartig-summarischer Überblick:
"Albrecht, Blatter, Imhoff, Jullier, Nanzer, Kuchen, Walpen, Volken, Zurbriggen ..." Wir meinen, auf einem Gommer Friedhof zu sein! Auch die Gräber der ersten Siedler sind noch vorhanden. Hier ein Leidhelgeli aus dem Archiv von Luis Eggel:
Im örtlichen Restaurant wird uns von Roque und Oskar das Essen offeriert. Beide haben im Ort ein eigenes Geschäft, Roque als Elektroinstallateur, Oskar als Möbelschreiner (40 Angestellte, Filiale in Rosario). Danach bringt uns Roque zu seiner Familie, wo wir gleich über die Abstimmung vom 30. November in der Schweiz Auskunft geben sollen. Auf Spanisch!
Wir erklären ihnen auch genau, was es braucht, damit ihre Stimmzettel gültig sind. (Selber werden wir jedoch die Abstimmung verpassen. Darum nehmen wir die Gelegenheit wahr und erläutern, warum wir wie gestimmt hätten!!)
José Luis Eggel mit seiner 93-jährigen Mutter
José hat ein bemerkenswertes Archiv mit Dokumenten aus der Gründungszeit, darunter viele Ansichtskarten, Fotos und Briefe:
Musik und Tanz haben immer eine grosse Rolle gespielt, auch jetzt noch. Die Festfreude wurde mit importiert!
Während wir die Dokumente sichten, kopiert Roque irgendwo im Dorf ein ganzes Büchlein über den erfolgreichen Aufstand der Kolonisten 1893 (gegen die Steuerforderungen aus Buenos Aires) und natürlich auch alle Briefe aus dem Archiv. (Wie werden wir das alles ins Reisegepäck kriegen?)
Daraufhin trinken wir bei Nestor und seiner liebenswürdigen Frau Betti Tee und schauen Fotoalben von ihrer Schweizer Reise um 1991 an.
Nachher werden wir zu "Meiggi "gefahren, zu Maria Carmen Jullier. Mit ihr sprechen wir Französisch. Sie ist Mitautorin eines Buches über die Kolonisation von San Jeronimo Norte. Es ist ein Vergügen, sich mit ihr zu unterhalten, es sprudelt nur so aus ihr heraus. Die Gründungsgeschichte läuft wie ein Film vor uns ab. Zum Glück hat Gerold ein Aufnahmegerät dabei! Frau Jullier fragt gleich am Anfang nach Klaus Anderegg und spricht enthusiastisch über die Begegnungen mit ihm. Sie wünscht sich (nicht als einzige im Ort) ein Wiedersehen mit ihm!
Es folgt de Besuch bei Walkers. Sie führen ein Hospedaje im Ort. Der Mann hat einen richtigen Walliser Schädel und spricht ein uriges Tiitsch. Er schreibt uns ins Reisenotizbuch spontan eine Grussbotschaft an Klaus Anderegg.
Längst ist es Nacht geworden. Roque wird uns noch nach Santa Fé fahren. Trotzdem bringt er uns vorher noch ins Haus der Familie von Edison Eggel, dem wir am Morgen auf dem Friedhof begegnet sind (siehe Bild oben). Noch einmal geht die Post so richtig ab, ein weiteres Mal im Uralt-Dialekt. Edison braucht Wörter, die es heute nicht mehr gibt, zum Beispiel "go lotze" für 'nachschauen gehen', und hebt zu einer eigentlichen Reflexion über seinen Sprachgebrauch an. (Bei der Begegnung am Morgen hat er gleich zu Gerold gesagt: "Du redisch aber keis Walliser-Tiitsch - drum darfsch nid z'schnell redä, wenn ich dich sell verstah!")
Er spricht - wie Schmidt und Walker - das Walliser Tiitsch in vierter Generation, und er tut es mit erfrischender Lust. (Sie sind die letzten, die es noch sprechen. Einzelne Kinder lernen zwar noch Deutsch, aber natürlich nicht den Dialekt ihrer Vorfahren.)
Seit Ururgrossvaterzeit sind die Eggels Bauern geblieben; heute ist es ein Milchwirtschaftsbetrieb mit 140 Kühen. Im Alter hat Edison den Hof verpachtet und ist mit seiner Frau ins Dorf umgezogen.
Abends um zehn Uhr sind wir schliesslich zurück in Santa Fé im Hotel. Jetzt wird nur noch geduscht und ab ins Bett! (Während Roque noch nach San Jeronimo zurückfahren muss.)
Vielen Dank, Roque, das war grossartig, von dir durch San Jeronimo Norte begleitet zu werden!
Hallo ihr beiden Auswanderer",toll, was ihr schon alles erlebt habt und - danke, dass wir ein wenig daran teilhaben dürfen. Bei der Beschreibung der Begegnungen mit den Wallisern in Santa Fé hat man das Gefühl, Gerold sei selbst ein Walliser. Wie klein die Welt doch ist! Und wie nah einem diese Auswanderungen scheinen, obwohl es doch schon eine ordentliche Weile her ist. Das war vermutlich das Highlight eurer Reise, oder? Wir freuen uns auf weitere schöne Erlebnisberichte und wünschen euch viel Spass!
AntwortenLöschenMargrit und Röbi