Kaum steht der Bus, ruft's von allen Seiten "Cambio, Cambio!". Männer schwenken ihre Taschenrechner und Geldbündel. Kurz nach der Grenzpassage stehen wir im Stau; es dauert eine gute Stunde, bis wir die wenigen Kilometer bis zum Terminal geschafft haben. Das für einmal regnerische Wetter dämpft zwar unsere Erwartungen, aber wir sind doch gespannt auf die ersten Eindrücke. Wie sieht die Hauptstadt eines Landes aus, über das es fast keine Reisebücher gibt und das zu den ärmsten Ländern Südamerikas gehört?
Das Bruttoinlandprodukt betrug 2013 pro Kopf 4170 USD; damit belegt Paraguay den 107. Rang von 187 Ländern. (Bei der 4.platzierten Schweiz waren es 82'324 USD). Wie passen dazu die zahlreichen Glaspaläste, wo Autofirmen wie Mercedes, BMW, Toyota ihre neuen Modelle ausstellen? Oder wie passt das zum Trek-Rennrad mit Triathlonlenker, das bei uns mehr als 5000 CHF kosten würde?
Abends dann verpflegen wir uns in einem 24h offenen in-Restaurant der Stadt. Im "Bolsi" ist fast jeder Stuhl besetzt. Auch über die Gasse werden fleissig Essen und Patisserie verkauft, und zwar zu Preisen, die durchaus mit denen in der Schweiz vergleichbar sind. Wie können die Leute das bezahlen? Wir erfahren später, dass Lehrer an Staatsschulen 500 Euro monatlich verdienen, an privaten vielleicht das doppelte. Der Mindestlohn soll 450 USD betragen. Viele Leute haben mehrere Jobs. Schmuggel und Korruption sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, erscheinen aber nicht in der offiziellen Statistik. Da so viel in den Taschen der Leute verschwindet, würden Entwicklungsprojekte im Bildungssektor über andere Kanäle abgewickelt - so weit wir unsere Wirtin richtig verstanden haben. Die paraguayische Volkswirtschaft wird auch als eine "economía de contrabando" bezeichnet - an der jedoch Hunderttausende von paraguayischen Arbeitsplätzen hängen..
Paraguay gehört ins Führungsfeld der sozioökonomischen Ungleichgewichte (11. Rang). Trotz grosser Fortschritte in den beiden letzten Jahren lag 2013 das Einkommen von 24% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Das wird uns gleich demonstriert, nachdem wir das Bolsi verlassen haben. Gerold hat den eingepackten Rest der Pizza in der Hand. Über die Strasse kommt ein Mädchen gerannt und fragt, ob es das haben dürfe. (Ja, natürlich!)
Heute Donnerstag wechseln wir Geld. Wir haben zum Glück keine CHF zum Wechseln, denn der Vergleich mit Dollar- und Eurokurs ist nicht gerade erhebend. Im Tagi online haben wir heute morgen gelesen, dass nach einer Trendumfrage des Schweizer Fernsehens zu den kommenden Abstimmungen der Euro-Frankenkurs nach oben und der Goldpreis nach unten geschnellt ist. Bekämen wir darum so viel weniger Guaranì für Franken als für Dollars?
Kaum haben wir unsere ersten 200'000 Guaraní im Portemonnaie - das reicht vielleicht bis heute abend! - sehen wir uns einer Demo gegenüber.
Zwei Blocks weiter ist der Park vor dem Parlamentsgebäude umstellt mit Feuerwehrautos. Margrit fragt einen jungen Bombero: "Esta una fiesta?" Wir geraten in ein längeres Gespräch auf Spanisch und Englisch, in dem er uns erklärt, dass im Moment im Parlament eine Vorlage der Bomberos behandelt wird. Vor einem Jahr seien die staatlichen Beiträge an die Ausrüstung der im übrigen freiwilligen Feuerwehr um die Häfte gekürzt worden. Sie machen Druck, dass dies rückgängig gemacht wird.
Als wir ihn fragen, warum eigentlich so viele teure Autos zu sehen sind, sagt er, dass er selber einen Mercedes fahre. Das koste ihn 2000 USD Leasinggebühren jährlich.
Die Grosseltern von Marcos Szcerba sind aus der Ukraine nach Paraguay emigriert.
Eigentlich wollten wir die Hauptpost mit dem Postmuseum besuchen. Das Postmuseum ist zwar anderswo, doch wir dürfen uns im oberen Stock der Post (halb leergeräumt, nur unten geht die Post noch ab) frei herumbewegen. Gerold studiert einen Aktenordner aus dem Jahr 2009. Das Gebäude hat den Charme von "100 Jahre Einsamkeit":
Gerold untersucht, ob es noch Pendenzen gibt. ... Im Büro für Reklamationen (unterer Stock) meldet er, dass oben alles ok. sei und der Schrank geräumt werden dürfe.










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