Freitag, 31. Oktober 2014

Adiós!

Schon gilt es, wieder Abschied zu nehmen. Heute abend um 18 Uhr fährt der Nachtbus. Wir haben Camas gebucht, also Liegebetten. Morgens früh gegen 5 Uhr sollen wir am Zielort eintreffen. Den heutigen Tag haben wir für einen Spaziergang der Rambla entlang genutzt. Hier ein paar Streiflichter:


Hier laufen Hunde nicht frei herum wie in Colónia. Sie werden jedoch auch in den Park geführt und können sich dort von Baum zu Baum anbellen, wenn sie wollen.




In Montevideo, der Stadt, die ihre beste Zeit hinter sich hat, aber mit dem Charme einer angejahrten Schönheit punktet, hat es uns gut gefallen.

Nach dem historischen Exkurs von vorgestern nun noch ein Streiflicht in die soziale und wirtschaftliche Gegenwart:
In den äusserst gut besuchten Esstempeln im Mercado del Puerto, wo wir am Dienstag Lunchtime hielten, langt man al pagar ordentlich in den Geldbeutel. Man könnte also meinen, dass das Lohnniveau entsprechend hoch ist. In einem ausführlichen Artikel in der hiesigen "El Pais" wurde gemutmasst, warum zwei Nordprivinzen anders als bei der letzten Wahl mehrheitlich für Frente Amplio votiert haben. Zur Erklärung wurde die Lohnstatistik zitiert, der gemäss dort die Mehrheit der Lohnbezüger monatlich nicht mehr als 14 000 UYU (uruguayische Pesos) verdienen. Da sind knapp 600 Schweizer Franken. Davon kann man nicht leben, denn abgesehen von den tiefen Fleischpreisen (ein Kilo gutes Rindfleisch kostet 10 Franken), sind die Lebensmittelpreise vergleichbar mit unseren. Milchprodukte und Getränke kosten sogar mehr. Die Leute sind darum auf Zweit- oder Drittjobs angewiesen.
Wie wenig die meisten verdienen, erkennt man auch am Alter vieler Kraftwagen. Während bei uns Autos, die im letzten Jh. in Verkehr gesetzt wurden, die Ausnahme sind, trifft das hier auf viele Vehikel zu. Es verkehren in Montevideo eine stattliche Zahl von Rostlauben, die 40 und mehr Jahre auf den Felgen haben.

Zum Abschied wünschen wir den Uruguayanerinnen und Uruguayanern jedenfalls einen wirtschaftlichen Aufschwung, so dass sie künftig nicht nur v.a. zur fortschrittlichen Sozialgestzgebung Gratulationen bekommen.




Mate

Es gibt in Montevideos kaum Kaffeehäuser, ganz im Gegensatz zu BA. Ob es daran liegt, dass die Uruguayer statt Kaffee Mate-Tee trinken? Das ist zwar in Argentinien nicht anders, aber dort tun es die Leute nicht immerfort auch unterwegs - jedenfalls ist es uns nicht aufgefallen. Hier in Montevideo begegnet man ständig Menschen - Männern mehr als Frauen, Erwachsenen jeden Alters -, die mit ihrer Mateausrüstung unterwegs sind.




Zum Equipment gehören die mit Matekraut halb gefüllte Kalebasse, die Bombilla (Trinkrohr mit Sieb) und ein Thermoskrug mit heissem Wasser zum Nachgiessen. Oft trägt man auch eine Art grossen Feldstecherbehälter mit sich, in den das alles hineinpasst. Es wird regelmässig nachgegossen und das Trinkrohr an den Mund geführt. Dass es weitergereicht wird an Begleiter, haben wir nicht oft beobachtet. Was das Wasserfläschchen bei uns, ist hier die Mateausrüstung. Das Getränk stimuliert den Stoffwechsel und ist angenehm zu trinken: rauchig-erdig, süss-säuerlich und fruchtig-bitter. Wir bevorzugen beim Aufgiessen eine ganz schwache Konzentration des Tees.




In den Supermercados gibt es ganze Gestelle voll mit Teepaketen, selbst 5 kg-Säcke.

Der Yerba-Mate-Strauch, ein Stechpalmengewächs, wächst im Unterholz der Urwälder (soweit es solche noch gibt!) in Argentinien, Paraguay und Uruguay. Jesuiten hatten in Paraguay im 17. Jh. bis zu ihrer Vertreibung das Anbaumonopol. Seit Ende des 19. Jhs. wird er wieder in Kulturen angebaut. Die Aufzucht ist anspruchsvoll; bis zur ersten Ernte dauert es vier Jahre. (Das mussten auch die Schweizer Einwanderer zur Kenntnis nehmen. Um rasch Einkommen zu generieren, mussten sie auf andere Kulturen ausweichen).


Donnerstag, 30. Oktober 2014

Er ist's!


Frühling lässt sein blaues Band  /  Wieder flattern durch die Lüfte


Süsse, wohlbekannte Düfte /  Streifen ahnungsvoll das Land.


Veilchen träumen schon / Wollen balde kommen
Horch, von fern ein leiser Harfenton!


Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!




Kontraste 2: Montevideo

Nachdem es gestern wie aus Kübeln regnete, empfängt uns der Tag heute mit Frühlingstemperaturen und lockerer Bewölkung. 

Bis jetzt haben wir bezüglich Architektur kaum Entdeckungen machen können. Die Häuser, die um 1900 gebaut worden sind, hatten Qualität, sind aber jetzt oft abruchreif verfallen. 


Was später entstand, ist grau und wirkt massig. Der Art déco-Palacio Salvo an der Plaza Independenzia (siehe Bild mit Artigas-Reiterstatue), 1928 entstanden, war lange das Wahrzeichen Montevideos. Nun hat er Konkurrenz bekommen vom neuen Telekommunikationsturm. 35 Stockwerke hoch überragt dieser alle andern Gebäude und ist von überall her zu sehen. Entsprechend ist die Aussicht von oben, die wir heute geniessen dürfen.

Palacio Salvo: 1928 fertiggestellt, 105 m hoch (bis 1935 höchstes Bauwerk Südamerikas). Architekt: Mario Palanti. 1995 als Monumento Historico Nacional deklariert. Erinnert an die Prosperität Uruguays in damaliger Zeit.
Torre Antel: 2002 erbaut, 158 m hoch, Architekt: Carlos Ott (entwarf auch die Opéra Bastille in Paris und den Burj al Arab in Dubai).



Blicke auf Hafen und Stadt aus dem 26. Stockwerk. Im Hintergrund der Hausberg Montevideos, der Cerro (134 m ü. M.). "Monte vide eu!"  -  nach Fernando de Magellanes, im Januar 1520:


Zu Füssen des Towers der 1890 erbaute alte Bahnhof "General Artigas".


Neue Autos im Hafen und direkt beim Tower ein Töff- und Autofriedhof:
 


Ein altes Bahnwärterhäuschen, der moderne Containerlagerplatz und der Palacio Salvo im Hintergrund, vom Personalrestaurant aus gesehen:


Und das zum Abschluss:



Mittwoch, 29. Oktober 2014

Puertas oder ...










... von der Melancholie Montevideos








Historischer Exkurs

Seit gestern abend folgt ein Gewitter dem andern, es regnet, und wir haben Zeit, das Gesehene zu verarbeiten. In den bisherigen Uruguay-Beiträgen vermitteln wir ein äusserst positives Bild des Kleinstaates - Stichworte: fortschrittliche Gesetzgebung, entspannte Grundatmosphäre. Um der Romantisierung vorzubeugen, bedarf es einiger Ergänzungen. Zuerst über einen Kurzabriss der Geschichte. Darin ist offiziell kaum je die Rede vom Kontext der Besiedelung durch die Europäer. Zu diesem gehört die weitgehende Vernichtung der indigenen Bevölkerung Uruguays in der Zeit nach 1800. 
Tatsache ist, dass es in U. als einzigem Land Südamerikas keine indigene Bevölkerung mehr gibt. Seit 1850 gilt sie als ausgestorben. Es fand ein eigentlicher Genozid statt. - Gestern im Supermarkt kamen wir ins Gespräch mit einem der privaten Sicherheitsleute. Er outete sich als Nachkomme italienischer Einwanderer mit portugiesischen und indigenen Wurzeln und machte uns auf das Massaker von 1831 an den Charrúa-Indianern aufmerksam, bei dem es nur wenige Überlebende gab. Vier von ihnen, darunter der Häuptling und seine Frau, wurden 1833 nach Paris gebracht und dort in Zirkussen ausgestellt. (Das ist keine Schauergeschichte; es ist historisch verbürgt). Der junge Mann war, während er erzählte, sichtlich aufgewühlt. 
Das Land war wegen seiner strategisch wichtigen Lage bis rund 1900 ein Spielball der Interessen. 1825 wurde es zwar mit Hilfe der Engländer als Staat von Argentinien und Brasilien anerkannt, doch dann begannen endlose Bürgerkriege. Am Rio de la Plata kämpfte jeder gegen jeden. Während des Guerra Grande (Handelsbürgertum gegen Landoligarchie) 1843 bis 1852 floh praktisch die ganze Landbevölkerung nach Argentinien.

Bildlegende: Die Skulptur "El Entrevero / der Wirrwarr" von José Bellini symbolisiert vielleicht die Geschichte Am Río de la Plata im 19. Jahrhundert: Jeder kämpft gegen jeden.

1853 zählte Uruguay noch 130 000 Einwohner. Trotz der weiterhin instabilen politischen Lage (erst 1870 kam es zur Befriedung), entstand eine eigentliche Einwanderungswelle aus Italien und Spanien.








1868 waren 68% der gesamten Bevölkerung neu Eingewanderte. Die Infrastruktur wurde rasant entwickelt: 1857 erste Bank, 1860 Kanalisation in Montevideo, 1866 erster Telegraph und Eisenbahnlinien ins Landesinnere, 1870 erste Gewerkschaft. Die Einwanderer brachten auch neue Viehzuchtmethoden ins Land. Nun konnte das landwirtschaftliche Potential des Landes wirklich genutzt werden. 1905 folgte dann der Paradigmenwechsel: Anstatt Lebendvieh wurde zum ersten Mal tiefgefrorenes Fleisch nach Europa verschifft. - 1880 hatte Uruguay wieder 500 000 Einwohner, 1910 über eine Million, 30% davon lebten damals schon in Montevideo.


Vor diesem historischen Hintergrund kann man die Bedeutung der Fussballsiege z.B. an den Weltmeisterschaften 1930 und 1950 erst wirklich verstehen (1930 Sieg gegen Argentinien 4:2 in Montevideo, 1950 in Rio de Janeiro gegen Brasilien 2:1). 



Dienstag, 28. Oktober 2014

Montevideo

ISeit gestern mittag sind wir in Montevideo, der jüngsten Hauptstadt des Kontinents. Wir sind in 2.5 h vom beschaulichen Colonía in einem modernen Bus hierhergefahren. Unterwegs Viehweiden, Getreidefelder, Buschlandschaften, keine Dörfer; eine grüne, praktisch topfebene Landschaft. Fünfzehn Minuten nach der Ankunft im Terminal hat uns das Taxi bei unserer Adresse abgesetzt. Im gleichen Augenblick begrüsst uns der Gastgeber Alejandro. Wir wohnen nun ein paar Tage in einem Zweizimmer-Appartement im 7. Stock. Im Zentrum. - Es ist brütend heiss an diesem ersten Tag in Montevideo. (Abends um sechs Uhr werden es immer noch 30 Grad sein!) Rund ums Haus finden wir alles, was wir brauchen, inklusive Cambio. Erst gegen Abend gehen wir auf einen ersten Rundgang, allerdings, wie sich viel später erst zeigt, in die falsche Richtung. Die Orientierung ist halt nicht so einfach wie in Merenschwand. Immerhin befinden wir uns hier in einer Grossstadt mit rund 1.3 Mio. Einwohnern (zehnmal weniger als in BA). Dafür landen wir in einem riesigen Park mit Velodrom und Sportgeräten zum freien Gebrauch. Die Leute sind trotz Hitze voll aktiv!

Heute nun machen wir uns in die andere Richtung auf den Weg.



Bildlegende: Palacio Salvo (1928)  und Reiterstatue von José G. Artigas, dem Nationalhelden Uruguays auf der Plaza Independenzia

... und werden im ehemaligen Präsidentenpalast gleich daneben freundlich begrüsst. 


Eigentlich wollen wir nur die Eingangstüre durchschreiten, werden aber in den ersten Stock komplimentiert und können auf einem Rundgang Einblick nehmen in die uruguayanische Geschichte.


Da die Präsidentschaft bekanntlich erst im November entschieden wird, dürfen wir ad interim die Rolle zu zweit spielen.


Alte Filmaufnahmen dokumentieren die letzten hundert Jahre. Auch Fussball ist darin schon früh vertreten. Dieses Bild hier zeigt die erste Staatskarrosse um 1830.

Wir wollen zum Mercado del Puerto essen gehen. Alejandro hat uns den Ort empfohlen. Unterwegs dorthin - wir bewegen uns jetzt in der Fussgängerzone - entdecken wir in einem Gebäude der Belle Epoque DIE Buchhandlung Uruguays. Hier müssen wir hinein! Was für eine Auwahl! (Auf dem Rückweg zieht es uns dann gleich nochmals hinein. Auch weil es Im 1. Stock ein Café gibt.)




Auf zum Mercado! 




Die Gusseisenhalle war nie ein Bahnhof. Man erzählt aber, sie sei ursprünglich als Bahnhofgebäude gedacht gewesen, allerdings für Buenos Aires. Per Schiff aus Frankreich kommend, sei sie irrtümlich im  Hafen von Montevideo ausgeladen und hier aufgebaut worden. Tatsache ist aber, dass sie 1865 in Liverpool für Montevideo in Auftrag gegeben wurde.

Dass für die Montevideer der Rio de La Plata ein Meer ist, erklärt sich vielleicht auch daraus, dass ihr Hafen der wichtigste des Landes ist.



Ein Wort noch zum Blog:

Was die Software automatisch generiert, nämlich den Namen des Schreibers (G. Koller) bedarf der Berichtigung. M. und G. Koller schreiben die Texte gemeinsam. Und die Bilder werden mit Margrits iPhone und Gerolds Digi-Kamera geschossen.