Donnerstag, 11. Dezember 2014

Eine Rückschau

– und aus dem Fundus nochmals ein paar Bilder

Es waren lange zwei Nächte, während denen wir von BA nach Atlanta und dann von New York nach Zürich flogen. Das Schlafverlangen wuchs, und einige Stunden hatten wir wohl nicht nur mit den Klappen über den Augen gedöst, sondern sind wirklich weggedriftet. Jedenfalls zeigten das die erinnerten Träume. Nachdem wir am Samstagmittag ganz zurück waren - Zeno hatte uns mit einem guten Essen empfangen – war das Verlangen gross, wieder mal in der Zeitung aus Papier zu lesen, statt wie in den letzten sieben Wochen in Online-Ausgaben. Aber es ging noch nicht; kaum zwei Textabschnitte schafften wir, dann waren die Augen waren wieder zu. Selbstdisziplin nützte gar nichts.

   Reducciones Jesuiticas, Trinidad / Paraguay

Wir sind mit mit einer USA-Airline geflogen, und das bedeutete für uns zwei Zwischenlandungen, eine in New York JFK (beim Hinflug mit einem Tag und einer Nacht Aufenthalt), die andere in Atlanta. Dass wir die 15'000 Flugkilometer zweimal  unterbrechen konnten, schien uns des zwischenzeitlichen Pausierens wegen vorteilhaft. Heute würden wir eher anders entscheiden. Ein Flug, z.B. über Madrid oder Lissabon, also in der Luftlinie nach Südamerika, ist kürzer und – vor allem – man kommt um die Einreiseformalitäten der USA herum. Das haben wir auf der Rückreise in Atlanta wieder erlebt. Wir oft und wie lange wir in den Zick-Zack-Schlangen anstehen mussten, haben wir gar nicht mehr gezählt bzw. gemessen. Immerhin, auf den Anschlussflug nach NY zweieinhalb Stunden später schafften wir es problemlos. Man muss den Amerikanern zugutehalten, dass sie es vor den Kontrollbarrieren super organisieren. In der vermeintlichen Endlos-Schlange steht man bald mal an der Stelle, wo man einer der freien Kontrolleurinnen oder einem Kontrolleur zugewiesen wird. (Und bald geht’s auf zur nächsten Schlange.) Die lenkenden und anweisenden Uniformierten verhalten sich wie gute Alphirten, wenn diese die Kühe behutsam durch den Melkstand schleusen, so dass keine Hektik aufkommt. Noch und noch wird ihnen (den Kühen wie den Passagieren) versichert, wie sie sich alle grossartig verhielten. Dem Ganzen beizuwohnen und dabei selber ein Teil davon zu sein machte Freude. Die Wirkung bei den derart Gehätschelten war genauso wie beabsichtigt – alle verhielten sich kooperativ und geduldig, und das am Morgen in aller Herrgottsfrühe nach einer mehr oder weniger durchwachten Nacht. Könnte die besondere Empathie des Flughafenpersonals damit zu tun haben, dass fast alles Schwarze sind?

    Herr und Frau Walker aus San Jerónimo

Der Temperaturunterschied, so dachten wir, würde uns bei der Rückkehr hauptsächlich zu schaffen machen. Vom argentinischen Sommeranfang in den Schweizer Winter bedeutet, sich auf zumindest 30 tiefere Grade einstellen. So wild war’s dann damit aber gar nicht, weder lag in Zürich Schnee, noch war es wirklich kalt. (Ziemlich exakt 35° unter den in Posadas gemessenen knapp 40° allerdings schon.) Schwieriger zu ertragen war und ist das fehlende Licht. In Argentiniens Frühling und Sommer gibt’s keine Dämmerung; etwa um acht Uhr, eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang, ist’s dunkel, und um sechs Uhr morgens ist es wieder hell, taghell. Das bleibt so 12, 13 Stunden lang! Jetzt, nach vier Tagen ohne einen Sonnenstrahl (wenigstens im Freiamt; es soll besser werden, so die aktuelle Prognose) beginnen wir zu realisieren, wie lichtverwöhnt wir lange Zeit waren. Erst jetzt wird uns das so ganz bewusst. Helios sei Dank!

   Jujuy

Mitte Oktober meinte einer aus unserem Bekanntenkreis, ob wir nicht ein bisschen zu viel voraus organisiert hätten. Er bezog sich auf die Unterkünfte ebenso – wir hatten sie alle von zuhause aus übers Internet gebucht – wie auf die Bustransfers zwischen den einzelnen Aufenthaltsorten. Ja klar, man könnte mehr improvisieren, den Aufenthalt dort verlängern, wo es einem besonders gut gefällt. Und an einem Ort hätten wir das tatsächlich gerne getan: In Salta. Nicht nur, weil uns die Strassensperre der Indios vor Humahuaca einen Tag gekostet hat. Trotzdem, wir würden’s im Wesentlichen wieder gleich machen. Aus verschiedenen Gründen. Die guten Erfahrungen, die wir im Frühjahr schon in Andalusien mit airbnb-Wohnungen machten, haben sich bestätigt. Es macht halt schon Spass, nicht nur ein Schlaf- und ein Badezimmer zu haben, sondern sich auch durch ein Wohnzimmer und eine Küche bewegen zu können. Und das alles zu einem Preis, für den man in einem Hotel kaum etwas in vergleichbarer Güte bekäme. Dass wir in der Regel auch von den Gastgebern selber profitieren konnten, haben wir in den Blogs ausführlich erzählt. – Das alles lässt sich vor Reiseantritt bestens organisieren und auch bezahlen. Unterwegs müsste man wohl häufig zur Kenntnis nehmen, dass eine Unterkunft in bevorzugter Lage eben nicht mehr frei ist. Und wir wollten während der Reise die Zeit weder damit zubringen, Hotelzimmer zu suchen und zu buchen, noch damit, zum (womöglich am Stadtrand liegenden) Busterminal zu fahren, um dort die Tickets für die Weiterfahrt zu holen. Wir waren froh, dass wir für alle Bustransfers bis nach Restistenzia die (ausgedruckten) Tickets schon im Rucksack hatten. (In Argentinien kann man einen Monat im Voraus über [www.plataforma10.com](http://www.plataforma10.com) die Angebote jedes Busunternehmers ansehen und auch gleich buchen.) Zwar hat uns das ein wenig mehr gekostet, konnten wir doch nicht vom vorteilhaften Strassenwechselkurs profitieren, aber es war uns den Preis wert. Jeweils eine Dreiviertelstunde vor Abfahrt des Busses vor Ort zu sein, das Gepäck einladen zu lassen und es sich dann in den reservierten Sesseln bequem zu machen, das war überaus komfortabel.

   Ciudad del Este, Paraguay

Weil wir Unterkunfts- und Reisekosten schon von daheim aus bezahlt hatten, brauchten wir auch nicht so viel Geld dabei zu haben oder uns regelmässig an einem Automaten welches zu holen. Tatsächlich haben wir einige wenige Male mit Kreditkarte bezahlt (v.a. in Foz de Iguazu, weil wir keine brasilianischen Reals gewechselt hatten), aber kein einziges Mal Cash aus einem Geldautomaten beziehen mussten. Ein paar argentinische und uruguayische Pesos hatten wir in der Schweiz gewechselt. Das wäre nicht nötig gewesen, denn vor Ort kann man rasch Geld umtauschen und im Notfall mit Dollars bezahlen. (Dafür sollte man ein, zwei Dutzend Ein-Dollar-Scheine dabei haben.) Und der Wechselkurs in der CH ist eine Zumutung. Der 1 : 7-Kurs etwa für AR$ bedeutete in Argentinien Preise wie in der Schweiz. Und davon hat ja der argentinische Händler nichts, profitieren tut nur die unvorteilhaft wechselnde Bank. In einer offiziellen Wechselstube oder Bank gab’s Pesos zum Kurs von 1 : 8.5. Wir selber wechselten vorteilhafter, und dies durchaus legal.


Auf der Reise haben wir wenig vermisst. Am ehesten dunkles, knuspriges Brot. (Manche Bäckereien bieten sog. „pan integral“ an, dunkles Brot. Es sind meist Brötchen ohne Kruste. Der Appetit wächst nicht, wenn man sie isst.)


Wie die Bilder und Texte der einzelnen Blogeinträge zeigen, waren unsere Begegnungen mit Landschaften und Menschen überwältigend positiv. Auch Margrit, der anfänglich etwas bange war und die besonders dem Plan, sieben Wochen unterwegs zu sein, skeptisch gegenüberstand, war die Reise nicht zu lang. (Eine Anekdote dazu: Irgendwann im September las sie in einem Reisebericht etwas über den angeblich kaum erträglichen Machismo der argentinischen Männer. „Warum reisen wir überhaupt in dieses Land?“, fragte sie. Was Margrit heute sagt: „Irgendwie staunte ich selber über die emotionale Zuneigung zu den bereisten Ländern, die mit der Zeit in mir entstand. Ich kann sie mir nicht wirklich erklären. Ganz ohne Beschwerlichkeiten war die Reise ja nicht. Und hin und wieder versuchte man auch, uns übers Ohr zu hauen. - Vielleicht lag es vor allem an der Offenheit und Herzlichkeit der meisten Menschen, denen wir begegneten. Auch vom Machismo habe ich nicht viel bemerkt. Er zeigt sich an den praktisch ausschliesslich männlichen Statuen in allen Städten und Dörfern. Tatsächlich begegnete er mir erst wieder hier in der Schweiz, und zwar nicht anhand von Statuen. Zurück zu Südamerika: Man wird als ältere Frau rücksichtsvoll behandelt und es wird einem oft zugelächelt, auch von jüngeren Männern! Was mir durchaus gefallen hat.“


Selbstverständlich gibt’s Dinge, über die wir den Kopf schüttelten. Nicht nur die unreflektierte Vormachtstellung der Autofahrer gegenüber den Fussgängern. (Darüber geben Blog-Beiträge Auskunft.) Auch die Plastiktüten, ohne die man nach einem Einkauf  kein argentinisches Geschäft verlassen kann. Offenbar geht man davon aus, dass klaut, wer daran nicht gehindert wird. Wer mit einem Rucksack einen supermercado (was so heisst, ist selten mehr als drei Regalreihen breit und 30 bis 40 m lang) oder sonst ein Geschäft betritt, wird von einem Sicherheitsmann höflich, aber bestimmt gebeten, diesen in einem Schliessfach zu verstauen oder an einem Tresen abzugeben. (Ein weiterer Mann in Uniform steht im Übrigen fast immer neben der Eingangstür einens Geschäfts.) An der Kasse wird einem dann alles in einfache oder doppelte Tüten gepackt. Als wir einmal den Versuch machten, solche mitzubringen und wiederzuverwenden, führte das beim Kassier zu ziemlicher Irritation. „Was sind das für ‚Üsserargentinier‘?“, schien er zu denken.
Zu was das führt? In den Wohnungen zu einer Anhäufung von Plastiktüten, draussen zu entsprechendem Müll. Einzig die Verwendung der Säckchen für den täglichen Abfall dünkte uns sinnvoll. Aber an den Stadträndern, ab da, wo die offenen Müllhalden anfangen, sind sie wieder augenfällig präsent, als Tütenwimpel an Sträuchern und Bäumen entlang der Strasse. Über Kilometer sich hinziehend.

    Plastiktüten-Sammler in einer unsere Wohnungen

Insgesamt hatten wir wenig Anlass, uns zu ärgern, vielmehr gab es öfters Situationen zum Staunen. Etwa über die Selbstverständlichkeit, mit der die Leute in den Städten Schlange stehen. Klar sind sie daran gewöhnt, lange warten zu müssen, wenn sie zum Beispiel Einzahlungen erledigen wollen, aber verblüfft hat uns schon, wie gelassen sie dabei bleiben. Vor einem Kino in BA sahen wir an zwei Abenden hintereinander jeweils eine Warteschlange nicht nur bis ans Ende des Blocks, sondern um diesen herum noch Dutzende von Metern weiter. Das schien für die Leute selbstverständlich; miteinander plaudernd, rückten sie immer wieder ein paar wenige Schritte. Echt vorbildlich wird es aber an Bushaltestellen nach Arbeitsschluss. Der einzelne Bus kann oft nur einen Teil der Wartenden aufnehmen. Wer schafft es da aufs Trittbrett und noch hinein in die volle Kiste? Nicht der freche Drängler, sondern die Person zuvorderst in der Schlange. Tatsächlich entstehen vor offenen Bustüren keine Trauben; alle reihen sich unaufgefordert in eine Schlange ein, nicht etwa mitten auf dem Gehsteig, sondern eng an der Häuserzeile. "Dichtestress"? Keine Spur.


Wir hoffen, dass es nicht bei dieser einen Reise nach Südamerika bleiben wird. Noch waren nicht in Patagonien, und rund um Salta wartet noch einiges, das wir sehen möchten. Auch Bolivien, Ecuador, Peru und Kolumbien sind Länder, auf die wir gespannt sind.

Wir hoffen, dass der Blog informativ war und dass es den LeserInnen auch Spass gemacht hat, den einen oder anderen Text zu lesen und die Bilder anzuschauen. Das Schreiben und Bebildern war aufwendig, aber wir haben es auch für uns selber gemacht. Jedesmal war es Anlass, uns mit dem eben Zurückliegenden auseinanderzusetzen sowie vergleichend zurück- und vorauszuschauen. Hie und da gab’s Meinungsverschiedenheiten, aber wenn wir schlussendlich den Befehl „veröffentlichen“ geben konnten, waren wir uns einig. Und wie oft haben wir beim Werweissen und Formulieren gelacht!

Zum Schluss noch eine Aufnahme, die wir freundlicherweise von Stefan übernehmen dürfen. BA präsentierte sich uns beim Abflug in einem solch grossartigen weiten Lichtermeer, dass wir uns schier nicht sattsehen konnten. Es war wie unsere Reise, ein bunter Bilderbogen, einfach wunderbar. Gerne kommen wir wieder! Allen wünschen wir frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr voller Lebensfreude.


Hier noch die Adressen zum Blog von Stefan über Argentinien (stefan1313.blogspot.com) und zu den früheren Blogs, über die Reisen von Manuel und Gerold durch den Iran und entlang der amerikanischen Westküste und von Zeno und Gerold durch Costa Rica und Nicaragua.


Freitag, 5. Dezember 2014

Abschied

Wir verabschieden uns von Buenos Aires mit einem Spaziergang durch die Strassen - später vielleicht mehr darüber - und mit einem Drink im Café Tortoni in der Avenida de Mayo. In ein paar Stunden fliegen wir via Atlanta und New York in die Schweiz zurück. Wir dürfen auf sieben abwechslungsreiche, intensive Reisewochen zurückblicken. Hasta luego!







Donnerstag, 4. Dezember 2014

Eine Wanderung in der Zona Ecologica von BA


Ja, BA kann auch so! Dieses Naturschutzgebiet liegt zwischen dem Rio de La Plata und der Stadt und  ist vom Zentrum aus leicht erreichbar.

Die "Zona Reserva Ecologica Costanera Sur" ist ein 350 ha grosses Areal, eine Mischung aus Flussschwemmland und dem Schutt der Häuser, die dem Bau der Stadtautobahn weichen mussten.

Ein Naturparadies!






Mittwoch, 3. Dezember 2014

Unterwegs in BA



So luxuriös und beinahe extravagant sind nur wenige unterwegs..


Die Busse sind zwar zahlreich (18'000 Stadtbusse auf mehr als 100 Linien) und immer proppenvoll, für Touris wie wir jedoch unerreichbar (uns fehlt das Kleingeld, und eine Karte zu lösen ist auch nicht ganz einfach)


Taxis gibt es mehr als 60'000



Jedoch juhee, ein Zug, der fährt! Von Palermo nach Retiro 6 Pesos die einfache Fahrt:


Bequem und geradezu stilvoll.


Die Subte nutzten wir am meisten; leider ist das Netz nicht gerade eng, und es bleiben lange Anmarschwege



Zu Fuss gehts immer, auch auf sportliche Art.


Doch am lässigsten ist es natürlich so:



Sonntag, 30. November 2014

Rückblende zu Paraguay

BrIm Hostal in Encarnación treffen wir ein junges Paar an, das Deutsch spricht. Er kommt aus Münster, und sie? Die blonde Frau ist eine Paraguayanerin. Wir sind erstaunt. Sie erklärt, dass sie ein Austauschjahr in Münster gemacht und dort ihren Freund kennengelernt hat. Spricht man nach einem Austauschjahr akzentfrei Hochdeutsch? Nein, Deutsch ist ihre Muttersprache. Sie kommt aus dem Chaco! 

Mennoniten im Chaco

Im historischen Abriss haben wir dargestellt, wie Paraguay in zwei Kriegen auch demografisch auf Grund gefahren wurde. Um das Bevölkerungsdefizit auszugleichen, hat das Land im 19. wie im 20. Jh. die Einwanderung aktiv gefördert. Auch viele Deutsche haben sich hier angesiedelt. Es gibt zahlreiche Dörfer, in denen bis heute deutsch gesprochen wird, und das nicht nur von der älteren Generation. Besonders eindrücklich ist die Siedlungsgeschichte der Mennoniten, einer Religionsgemeinschaft, die es seit der Zeit der Reformation gibt. Die ersten M. kamen 1926/27 in den Chaco, kurz vor den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Paraguay und Bolivien. 

Warum siedelten Europäer in einem Gebiet, wo für Wasser Sodbrunnen zu graben und mannshohes Dornengestrüpp zu roden war? 

Die M. schwören keine Eide (auch nicht auf einen Staat), leisten keinen Kriegsdienst und bleiben unter sich. Auch sprachlich. Sie stammen ursprünglich aus dem niederdeutschen Sprachraum, hauptsächlich aus den Niederlanden. Von dort vertrieben, zogen sie in menschenleere Gegenden, wo sie Land urbar machten und als Bauern und Handwerker lebten. Zuerst nach Ostpreussen, von da nach Russland, weiter nach Kanada und schliesslich nach Uruguay und Paraguay. Nach Jahrhunderten Wanderung sprechen sie nach wie vor ihr Plattdeutsch im Alltag und Hochdeutsch in der Kirche und in der Schule.
Paraguay war an den M. interessiert, wollte man doch den Chaco urbar machen. Die Siedler mussten das Land kaufen, bekamen aber weitgehende Privilegien, zum Beispiel eigenes Schul- und Erbrecht, autonome Rechtsprechung, absolute Religionsfreiheit und Befreiung vom Militärdienst. Sie bilden gewissermassen einen Staat im Staat. Es hat sich für beide Seiten bezahlt gemacht. Wo die M. leben, ist aus dem unwirtlichen Chaco Ackerbau- und Viehzuchtgebiet geworden. Hier wird nicht nur ein Grossteil der in Paraguay benötigten Milchprodukte erzeugt, auch der Anteil der exportierten Agrargüter ist überdurchschnittlich hoch. Wen wunderts, dass heute das Pro-Kopf-Einkommen der M. fünfmal über dem des übrigen Paraguay liegen soll.
Allerdings haben die M. den Wohlstand nicht allein erarbeitet. Die im Chaco schon immer heimischen Indios sind heute Lohnabhängige der M. Wie die Frauen bei den M. haben auch die Indios und die zugezogenen "Lateinparaguayaner" nichts zu bestimmen. Ob sie sich auch künftig in die Dienerrolle fügen werden?

Die junge Frau in Encarnación bezeichnet sich selber als schwarzes Schaf, hat sie es doch gegen den Widerstand ihrer Familie fertiggebracht, in Asuncion Psychologie zu studieren und für ein Jahr nach Deutschland zu fahren. Inzwischen ist sie mit ihrem Freund zurück in den Chaco zurückgekehrt. Während er Mitte Dezember nach Deutschland heimfliegt, ist es unklar, wo sie zukünftig leben und arbeiten wird.

Campesinos

Als wir in Asuncion waren, stiessen wir auf eine Demo von Campesinos. In BA im Centro Culturel Recoleta gehen wir durch eine Fotoausstellung. Dort gibt es eine Bilderfolge über den Kampf der Campesinos gegen die Grossgrundbesitzer, die Soja in Monokulturen anpflanzen und der ursprünglichen Landbevölkerung den Boden gestohlen haben. Hauptakteure sind die internationalen Agrokonzerne! Die Bilder sind in der Provinz Itapúa gemacht worden, deren Hauptstadt Encarnación ist. Wir erlauben uns, einige davon zu zeigen.






Fotos: SUB cooperativa de fotografos, Centro Culturel Recoleta, BA

Lesetipp: Maurice Lemoine. Unter der Herrschaft des Soja. Landbesitz und politische Macht in Paraguay. In: Le monde diplomatique Nr. 10306 vom 10.1.14.

Vor- und Nachspiel

Schon nach dem Frühstück ist klar, dass das Schweizer Abstimmungswochenende deutliche Ergebnisse bringen wird. Wir können uns den TA-Liveticker schenken und den Spaziergang ins Künstler- und Intellektuellenviertel San Telmo starten. Dort ist heute Flohmarkt. Bei kühlen Temperaturen windet und regnet es leicht. Unterwegs wenig Leute. Kurz nachdem wir die Avenida 9 de Julio auf der Calle Venezuela überquert haben (das schafft man nur spurtend in einer einzigen Grünphase), tönt's hinter uns: "Señor ... Señor". Eine junge, sportlich gekleidete Frau nähert sich lächelnd und deutet mit der Hand auf uns. "No, no, no!" So die Antwort von Margrit, während G. sich halb umdreht. M. hat die Situation richtig eingeschätzt. Was wollen die Frau und die beiden Männer, die sich von verschiedenen Seiten nähern? Unsere Reaktion ist so unmissverständlich, dass sie den Abstand nicht gefährlich unterschreiten. Wenige Meter später die Bestätigung: Die Frau macht rechtsumkehrt und geht zu den beiden Männern zurück - und es beginnt scharf zu riechen. Senf! Tatsächlich sind unsere Kleider mit einer grünlichen Sauce bekleckert. Es sieht nur aus wie Vogelscheisse. Kurz darauf steigen die drei in ein Auto und fahren zu unserer Erleichterung davon. Wir wären Opfer eines oft angewendeten Tricks geworden: "Sie sind mit Vogelmist bespritzt... Dürfen wir Ihnen helfen, ihn abzuwischen?" 
(Eine weniger harmlose Variante ist uns in Salta von einem andern Schweizer Reisepaar geschildert worden. Sie seien auf einem Spaziergang in La Boca (wie San Telmo eines der 48 Viertel von Buenos Aires) am helllichten Tag von vier Männern überfallen und beraubt worden. Auf dem Polizeiposten kurz danach sei ein Franzose aufgetaucht, dem dasselbe passiert war.)
Dies ist unsere erste und hoffentlich auch einzige unliebsame Begegnung dieser Art. Gestern zum Beispiel wurden wir von einem Mann in ein längeres Gespräch verwickelt, bei dem sich am Ende herausstellte, dass er eine Spende wollte. Normalerweise aber entstehen die Kontakte spontan, sind positiv und verfolgen keinen bestimmten Zweck.


    Mafalda will nichts von mir!

Weil Margrit seit einigen Tagen humpelt (Knie), kehren wir zur Mittagessenzeit in unser Viertel zurück. Unterwegs halten wir Lunchtime. Porteños sind Feinschmecker und haben Stil. Es ist ein Vergnügen zu sehen, welche Speisen rundherum gegessen werden. Was für eine Gaumenfreude! 



Ein Detail zum Stil: Nach dem Bestellen bringt die Kellnerin zu den Brötchen nicht nur Sardellen, Oliven und Butter, sondern auch ein Gläschen Süsswein.



Nach dem Hauptgang - Risotto mit Coniglio - gibts Likör. Diese Aufmerksamkeiten gehören hier zum Service. Humpelnd und schwankend kehren wir heiteren Sinnes in unser Logis zurück.


Samstag, 29. November 2014

Zurück zum Start


Abschied von Paraguay! Wir überqueren im Bus den Paraná und besteigen in Posadas das Flugzeug nach Buenos Aires: 800 km in einer guten Stunde! Das wären zwölf lange Busstunden...




Am Vorabend sehen wir in Encarnación auf Grossleinwand das Stadtrivalenderby zwischen River Plate und Boca Juniors. Es endet 1:0 für River Plate. Kurz vor der Landung sehen wir das Stadion des Siegers:


Wir freuen uns, in Buenos Aires zurück zu sein. Wir sehen die Stadt mit neuen Augen. Etwas Magisches geht von ihr aus. Wir stehen ihr fasziniert gegenüber. Dieses Gefühl stellt sich schon beim Anflug über die Stadt ein. Wir bekommen eine Vorstellung von der Dimension von 200 Quadratkilometern Stadtfläche mit 13 Mio Einwohnern. André Malraux hat über BA gesagt, sie sei die Hauptstadt eines Imperiums, das niemals existierte. Man wundert sich nicht, dass die Porteños eine Hassliebe zu ihrer Stadt haben. Man lebt hier in Gegensätzen. Sie schimpfen auf die überfüllten Busse und Subtes und sehnen sich nach BA zurück, sobald sie die Stadt verlassen. Eine junge Frau im Hostal in Encarnación, welche einen Tag vor uns nach BA zurückkehrte, strahlte in Vorfreude, sprach in Superlativen von ihrer Stadt Buenos Aires und eilte mit ihrem Tramperrucksack davon.

Wir wohnen wieder am selben Ort wie vor sechs Wochen. Auf dem Weg dorthin begegnen wir einem tangotanzenden Paar vor dem Tangoschuppen:



Heute besuchen wir den Friedhof La Recoleta, wo auch Evita Perón ihre Ruhestätte hat. La R. Ist einer der 48 Barrios Buenos Aires', ein wohlhabendes Viertel mit vielen Botschaften und Parkanlagen mit phantastischen Bäumen. 




Der Friedhof ist eine Stadt für sich. Die reichen und mächtigen Familien scheinen sich mit ihren oft überdimensionierten Mausoleen noch im Tode übertreffen zu wollen.



Die folgenden drei Bilder gehören zum gleichen Mausoleum. Über hundert Jahre nach dem Tod des Patriarchen kümmert sich kein Mensch mehr um das Grabmal. Entsprechend sieht es im Innern aus.








Die Natur erobert sich das Terrain zurück - irgendwie tröstlich.

Am Abend geraten wir vor dem Kongresspalast in ein Rockkonzert. Der Himmel wird schwarz und schwärzer und donnert dazwischen.