Es waren lange zwei Nächte, während denen wir von BA nach Atlanta und dann von New York nach Zürich flogen. Das Schlafverlangen wuchs, und einige Stunden hatten wir wohl nicht nur mit den Klappen über den Augen gedöst, sondern sind wirklich weggedriftet. Jedenfalls zeigten das die erinnerten Träume. Nachdem wir am Samstagmittag ganz zurück waren - Zeno hatte uns mit einem guten Essen empfangen – war das Verlangen gross, wieder mal in der Zeitung aus Papier zu lesen, statt wie in den letzten sieben Wochen in Online-Ausgaben. Aber es ging noch nicht; kaum zwei Textabschnitte schafften wir, dann waren die Augen waren wieder zu. Selbstdisziplin nützte gar nichts.
Wir sind mit mit einer USA-Airline geflogen, und das bedeutete für uns zwei Zwischenlandungen, eine in New York JFK (beim Hinflug mit einem Tag und einer Nacht Aufenthalt), die andere in Atlanta. Dass wir die 15'000 Flugkilometer zweimal unterbrechen konnten, schien uns des zwischenzeitlichen Pausierens wegen vorteilhaft. Heute würden wir eher anders entscheiden. Ein Flug, z.B. über Madrid oder Lissabon, also in der Luftlinie nach Südamerika, ist kürzer und – vor allem – man kommt um die Einreiseformalitäten der USA herum. Das haben wir auf der Rückreise in Atlanta wieder erlebt. Wir oft und wie lange wir in den Zick-Zack-Schlangen anstehen mussten, haben wir gar nicht mehr gezählt bzw. gemessen. Immerhin, auf den Anschlussflug nach NY zweieinhalb Stunden später schafften wir es problemlos. Man muss den Amerikanern zugutehalten, dass sie es vor den Kontrollbarrieren super organisieren. In der vermeintlichen Endlos-Schlange steht man bald mal an der Stelle, wo man einer der freien Kontrolleurinnen oder einem Kontrolleur zugewiesen wird. (Und bald geht’s auf zur nächsten Schlange.) Die lenkenden und anweisenden Uniformierten verhalten sich wie gute Alphirten, wenn diese die Kühe behutsam durch den Melkstand schleusen, so dass keine Hektik aufkommt. Noch und noch wird ihnen (den Kühen wie den Passagieren) versichert, wie sie sich alle grossartig verhielten. Dem Ganzen beizuwohnen und dabei selber ein Teil davon zu sein machte Freude. Die Wirkung bei den derart Gehätschelten war genauso wie beabsichtigt – alle verhielten sich kooperativ und geduldig, und das am Morgen in aller Herrgottsfrühe nach einer mehr oder weniger durchwachten Nacht. Könnte die besondere Empathie des Flughafenpersonals damit zu tun haben, dass fast alles Schwarze sind?
Der Temperaturunterschied, so dachten wir, würde uns bei der Rückkehr hauptsächlich zu schaffen machen. Vom argentinischen Sommeranfang in den Schweizer Winter bedeutet, sich auf zumindest 30 tiefere Grade einstellen. So wild war’s dann damit aber gar nicht, weder lag in Zürich Schnee, noch war es wirklich kalt. (Ziemlich exakt 35° unter den in Posadas gemessenen knapp 40° allerdings schon.) Schwieriger zu ertragen war und ist das fehlende Licht. In Argentiniens Frühling und Sommer gibt’s keine Dämmerung; etwa um acht Uhr, eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang, ist’s dunkel, und um sechs Uhr morgens ist es wieder hell, taghell. Das bleibt so 12, 13 Stunden lang! Jetzt, nach vier Tagen ohne einen Sonnenstrahl (wenigstens im Freiamt; es soll besser werden, so die aktuelle Prognose) beginnen wir zu realisieren, wie lichtverwöhnt wir lange Zeit waren. Erst jetzt wird uns das so ganz bewusst. Helios sei Dank!
Mitte Oktober meinte einer aus unserem Bekanntenkreis, ob wir nicht ein bisschen zu viel voraus organisiert hätten. Er bezog sich auf die Unterkünfte ebenso – wir hatten sie alle von zuhause aus übers Internet gebucht – wie auf die Bustransfers zwischen den einzelnen Aufenthaltsorten. Ja klar, man könnte mehr improvisieren, den Aufenthalt dort verlängern, wo es einem besonders gut gefällt. Und an einem Ort hätten wir das tatsächlich gerne getan: In Salta. Nicht nur, weil uns die Strassensperre der Indios vor Humahuaca einen Tag gekostet hat. Trotzdem, wir würden’s im Wesentlichen wieder gleich machen. Aus verschiedenen Gründen. Die guten Erfahrungen, die wir im Frühjahr schon in Andalusien mit airbnb-Wohnungen machten, haben sich bestätigt. Es macht halt schon Spass, nicht nur ein Schlaf- und ein Badezimmer zu haben, sondern sich auch durch ein Wohnzimmer und eine Küche bewegen zu können. Und das alles zu einem Preis, für den man in einem Hotel kaum etwas in vergleichbarer Güte bekäme. Dass wir in der Regel auch von den Gastgebern selber profitieren konnten, haben wir in den Blogs ausführlich erzählt. – Das alles lässt sich vor Reiseantritt bestens organisieren und auch bezahlen. Unterwegs müsste man wohl häufig zur Kenntnis nehmen, dass eine Unterkunft in bevorzugter Lage eben nicht mehr frei ist. Und wir wollten während der Reise die Zeit weder damit zubringen, Hotelzimmer zu suchen und zu buchen, noch damit, zum (womöglich am Stadtrand liegenden) Busterminal zu fahren, um dort die Tickets für die Weiterfahrt zu holen. Wir waren froh, dass wir für alle Bustransfers bis nach Restistenzia die (ausgedruckten) Tickets schon im Rucksack hatten. (In Argentinien kann man einen Monat im Voraus über [www.plataforma10.com](http://www.plataforma10.com) die Angebote jedes Busunternehmers ansehen und auch gleich buchen.) Zwar hat uns das ein wenig mehr gekostet, konnten wir doch nicht vom vorteilhaften Strassenwechselkurs profitieren, aber es war uns den Preis wert. Jeweils eine Dreiviertelstunde vor Abfahrt des Busses vor Ort zu sein, das Gepäck einladen zu lassen und es sich dann in den reservierten Sesseln bequem zu machen, das war überaus komfortabel.
Weil wir Unterkunfts- und Reisekosten schon von daheim aus bezahlt hatten, brauchten wir auch nicht so viel Geld dabei zu haben oder uns regelmässig an einem Automaten welches zu holen. Tatsächlich haben wir einige wenige Male mit Kreditkarte bezahlt (v.a. in Foz de Iguazu, weil wir keine brasilianischen Reals gewechselt hatten), aber kein einziges Mal Cash aus einem Geldautomaten beziehen mussten. Ein paar argentinische und uruguayische Pesos hatten wir in der Schweiz gewechselt. Das wäre nicht nötig gewesen, denn vor Ort kann man rasch Geld umtauschen und im Notfall mit Dollars bezahlen. (Dafür sollte man ein, zwei Dutzend Ein-Dollar-Scheine dabei haben.) Und der Wechselkurs in der CH ist eine Zumutung. Der 1 : 7-Kurs etwa für AR$ bedeutete in Argentinien Preise wie in der Schweiz. Und davon hat ja der argentinische Händler nichts, profitieren tut nur die unvorteilhaft wechselnde Bank. In einer offiziellen Wechselstube oder Bank gab’s Pesos zum Kurs von 1 : 8.5. Wir selber wechselten vorteilhafter, und dies durchaus legal.
Auf der Reise haben wir wenig vermisst. Am ehesten dunkles, knuspriges Brot. (Manche Bäckereien bieten sog. „pan integral“ an, dunkles Brot. Es sind meist Brötchen ohne Kruste. Der Appetit wächst nicht, wenn man sie isst.)
Wie die Bilder und Texte der einzelnen Blogeinträge zeigen, waren unsere Begegnungen mit Landschaften und Menschen überwältigend positiv. Auch Margrit, der anfänglich etwas bange war und die besonders dem Plan, sieben Wochen unterwegs zu sein, skeptisch gegenüberstand, war die Reise nicht zu lang. (Eine Anekdote dazu: Irgendwann im September las sie in einem Reisebericht etwas über den angeblich kaum erträglichen Machismo der argentinischen Männer. „Warum reisen wir überhaupt in dieses Land?“, fragte sie. Was Margrit heute sagt: „Irgendwie staunte ich selber über die emotionale Zuneigung zu den bereisten Ländern, die mit der Zeit in mir entstand. Ich kann sie mir nicht wirklich erklären. Ganz ohne Beschwerlichkeiten war die Reise ja nicht. Und hin und wieder versuchte man auch, uns übers Ohr zu hauen. - Vielleicht lag es vor allem an der Offenheit und Herzlichkeit der meisten Menschen, denen wir begegneten. Auch vom Machismo habe ich nicht viel bemerkt. Er zeigt sich an den praktisch ausschliesslich männlichen Statuen in allen Städten und Dörfern. Tatsächlich begegnete er mir erst wieder hier in der Schweiz, und zwar nicht anhand von Statuen. Zurück zu Südamerika: Man wird als ältere Frau rücksichtsvoll behandelt und es wird einem oft zugelächelt, auch von jüngeren Männern! Was mir durchaus gefallen hat.“
Selbstverständlich gibt’s Dinge, über die wir den Kopf schüttelten. Nicht nur die unreflektierte Vormachtstellung der Autofahrer gegenüber den Fussgängern. (Darüber geben Blog-Beiträge Auskunft.) Auch die Plastiktüten, ohne die man nach einem Einkauf kein argentinisches Geschäft verlassen kann. Offenbar geht man davon aus, dass klaut, wer daran nicht gehindert wird. Wer mit einem Rucksack einen supermercado (was so heisst, ist selten mehr als drei Regalreihen breit und 30 bis 40 m lang) oder sonst ein Geschäft betritt, wird von einem Sicherheitsmann höflich, aber bestimmt gebeten, diesen in einem Schliessfach zu verstauen oder an einem Tresen abzugeben. (Ein weiterer Mann in Uniform steht im Übrigen fast immer neben der Eingangstür einens Geschäfts.) An der Kasse wird einem dann alles in einfache oder doppelte Tüten gepackt. Als wir einmal den Versuch machten, solche mitzubringen und wiederzuverwenden, führte das beim Kassier zu ziemlicher Irritation. „Was sind das für ‚Üsserargentinier‘?“, schien er zu denken.
Zu was das führt? In den Wohnungen zu einer Anhäufung von Plastiktüten, draussen zu entsprechendem Müll. Einzig die Verwendung der Säckchen für den täglichen Abfall dünkte uns sinnvoll. Aber an den Stadträndern, ab da, wo die offenen Müllhalden anfangen, sind sie wieder augenfällig präsent, als Tütenwimpel an Sträuchern und Bäumen entlang der Strasse. Über Kilometer sich hinziehend.
Plastiktüten-Sammler in einer unsere Wohnungen
Insgesamt hatten wir wenig Anlass, uns zu ärgern, vielmehr gab es öfters Situationen zum Staunen. Etwa über die Selbstverständlichkeit, mit der die Leute in den Städten Schlange stehen. Klar sind sie daran gewöhnt, lange warten zu müssen, wenn sie zum Beispiel Einzahlungen erledigen wollen, aber verblüfft hat uns schon, wie gelassen sie dabei bleiben. Vor einem Kino in BA sahen wir an zwei Abenden hintereinander jeweils eine Warteschlange nicht nur bis ans Ende des Blocks, sondern um diesen herum noch Dutzende von Metern weiter. Das schien für die Leute selbstverständlich; miteinander plaudernd, rückten sie immer wieder ein paar wenige Schritte. Echt vorbildlich wird es aber an Bushaltestellen nach Arbeitsschluss. Der einzelne Bus kann oft nur einen Teil der Wartenden aufnehmen. Wer schafft es da aufs Trittbrett und noch hinein in die volle Kiste? Nicht der freche Drängler, sondern die Person zuvorderst in der Schlange. Tatsächlich entstehen vor offenen Bustüren keine Trauben; alle reihen sich unaufgefordert in eine Schlange ein, nicht etwa mitten auf dem Gehsteig, sondern eng an der Häuserzeile. "Dichtestress"? Keine Spur.
Wir hoffen, dass es nicht bei dieser einen Reise nach Südamerika bleiben wird. Noch waren nicht in Patagonien, und rund um Salta wartet noch einiges, das wir sehen möchten. Auch Bolivien, Ecuador, Peru und Kolumbien sind Länder, auf die wir gespannt sind.
Wir hoffen, dass der Blog informativ war und dass es den LeserInnen auch Spass gemacht hat, den einen oder anderen Text zu lesen und die Bilder anzuschauen. Das Schreiben und Bebildern war aufwendig, aber wir haben es auch für uns selber gemacht. Jedesmal war es Anlass, uns mit dem eben Zurückliegenden auseinanderzusetzen sowie vergleichend zurück- und vorauszuschauen. Hie und da gab’s Meinungsverschiedenheiten, aber wenn wir schlussendlich den Befehl „veröffentlichen“ geben konnten, waren wir uns einig. Und wie oft haben wir beim Werweissen und Formulieren gelacht!
Zum Schluss noch eine Aufnahme, die wir freundlicherweise von Stefan übernehmen dürfen. BA präsentierte sich uns beim Abflug in einem solch grossartigen weiten Lichtermeer, dass wir uns schier nicht sattsehen konnten. Es war wie unsere Reise, ein bunter Bilderbogen, einfach wunderbar. Gerne kommen wir wieder! Allen wünschen wir frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr voller Lebensfreude.
Hier noch die Adressen zum Blog von Stefan über Argentinien (stefan1313.blogspot.com) und zu den früheren Blogs, über die Reisen von Manuel und Gerold durch den Iran und entlang der amerikanischen Westküste und von Zeno und Gerold durch Costa Rica und Nicaragua.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen